Und immer wieder der HSV…

Vergangenen Samstag war es wieder soweit. Der „Klassiker“ BVB gegen den HSV stand an und mit dieser Ansetzung das Treffen der „Traditionalisten“ aus beiden Lagern. Was vor drei Jahren mit sieben Personen in Hamburg begonnen hat, gehört heute wieder zu einer festen Einrichtung bei all denen, die sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen mögen. Denn die Wiederbelebung dieser alten Freundschaft, die in ihrem Ursprung bereits auf das Jahr 1976 zurückblicken kann, gehört zu den ältesten innerhalb der Bundesliga und hat auch heute noch enormes Potenzial auf beiden Seiten.

Und so waren sie wieder nach Dortmund geströmt, die Kuttenträger. Ort der Zusammenkunft diesmal: Das „HappyHappyDingDong“, eine Szene und Event-Kneipe auf der Hohe Straße 88 – geradewegs in der Einflugschneise zum Westfalenstadion. Auf über 100 qm Innenraum und einem 200 qm großen Biergarten unter schattigen Bäumen fanden sich die Freunde ein, um sich auf den fußballerischen Nachmittag einzustimmen.

Mit dabei auch Thomas Kerfin (49), HSV-Fanbetreuer in der Region Bremen und seit kurzem bei der Wahl der Abteilungsleitung des HSV-Supportersclubs zum Beisitzer gewählt. Damit vertritt er immerhin eine Abteilung die ca. 50.000 Mitglieder zählt. Zusammen mit Tim Oliver Horn, dem neuen Vorsitzenden, will auch er mithelfen, beim Dino neue Lust am Supporters Club zu entfachen, wie Kerfin („Die Fan-Szene des HSV ist zerstritten und gespalten. Es wird Jahre dauern, die Fans zu beruhigen oder zu versöhnen“) am Rande erwähnt.
Vor allem im Block 22 C, ganz oben links auf der Nordtribüne im Stadion im Volkspark, haben sich nämlich die Reihen stark gelichtet. Dort, wo seit Jahren die Gruppe „Chosen Few“ für Stimmung gesorgt hatte. Der Club untersagte ihnen die Nutzung von Lagerräumen im Stadion, der Infostand wurde abgebaut. Die nicht unumstrittene Fan-Gruppierung rief anschließend dazu auf, fortan den HSV III in der Bezirksliga zu unterstützen. Zudem wurde am 19. Juni 2014 der HFC Falke geboren, ein Tribut an den HSV-Vorgängerverein FC Falke 06, in dem die Mitglieder basisdemokratisch abstimmen – eben ganz im Gegensatz zur neuen HSV Fußball AG, in der sie sich um ihr Mitspracherecht betrogen fühlen. Der HSV wie er leibt und lebt – Unruhe als Markenzeichen.

 

 
Doch zurück zum Stichwort Lust: Die „Reanimateure“ dieser alten und neu aufgelegten Freundschaft, Bernd Stürmer und Michael Bolte freuten sich riesig über die Resonanz. Beide Veteranen ihrer Clubs ließen es sich nicht nehmen, alle Anwesenden zu begrüßen und die Zusammenkunft offiziell zu eröffnen. Wie üblich sah man an den Tischen neueste Kollektionen frisch gestickter Aufnäher und begehrte Tauschexemplare die Besitzer wechseln. Diese Stoffteile bildeten sozusagen die Brücke und sind bei Kutten das Salz in der Suppe. Das findet auch Stefan Kaiser, Präsi des inzwischen 33-jähre alten HSV-Fanclubs „Schwarz-Gelb“, der natürlich passenderweise sein schwarz-gelbes Club-T-Shirt anhat.

Die Stimmung war – wie Paniks Traditions-Zigarren – einmal mehr herausragend. Und auch wenn im Vorfeld darüber vielfach geflachst wurde, dass Borussia Dortmund gerade für den Hamburger Sportverein bestimmt wieder ein dankbarer Aufbaugegner sei, der auch gerne den dort ständig wechselnden Trainern die ersten drei Punkte als Geschenk überreicht – hat natürlich niemand im Vorfeld so etwas geahnt. Vermutlich nicht einmal die Hamburger selber, die nach dem Erfolg des BVB in der UEFA Champions League definitiv nicht der Favorit für die Bundesliga-Partie am Samstag waren und vermutlich nicht mit den größten Ambitionen ihre Reise nach Westfalen angetreten sind.

Gleichwohl brütete Peter Knaack von der „Krawattenfront Hamburg“ eine Idee aus, die in dieser Form so sicher nicht alltäglich ist. Er und Borusse Jost Schmidt testen das Verhalten ihrer Umgebung – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Kurzerhand tauschten beide ihre Kutten und ihre Karten. Während Peter mit Jost‘s DK auf 13 in der Süd bei den Schwertern das Leben eines Borussen aus hanseatischer Sicht erlebte, feierte Jost als unterlegener Dortmunder mit siegreichen Hamburgern.

Bereits auf dem Weg zum Stadion freuten sich beide aus die ungewöhnliche Perspektive. „Und da ich die Süd in der Größe auch mal von der andern Seite sehen wollte, bin ich auf den Deal eingegangen und hab mit ihm meine Dauerkarte gegen seine Papierkarte getauscht. Aber schon beim Eingang hat mich ein befreundeter Ordner abgepasst und gefragt, was ich denn hier auf Nord wollte…“ erzählte Jost Schmidt beim Bier danach.

Seine Antwort darauf klingt eigentlich so simpel wie logisch: „Ich hab ihm gesagt, dass die Möglichkeit, mal auf der andern Seite zu stehen und das Spiel mit Freunden zusammen erleben zu können, ja praktisch sonst nie existiert. Sicherlich war das zuerst schon ein merkwürdiges Gefühl, aber schon zu Beginn waren alle möglichen Sorgen weg, da ich ja bei Bernd Stürmer und Michael Frömke in der Mitte gestanden habe“. Beide beschrieben anschließend ihren Nachmittag als echtes Erlebnis für jeden Fußballfan einmal so Fußball zu sehen.

Andere hatten da leider nicht so viel Spaß. Aus dem Biergarten Rote Erde kommend, erreichte ein Teil unserer Gruppe gegen 14.45 Uhr den Gästeblockbereich, welcher bereits zu dieser Zeit schon bei den Aufgängen 60 und 61 total überfüllt war und überhaupt keine Chance für unsere Gäste zuließ, rechtzeitig zum Anpfiff – trotz gültiger Karten – in die Blöcke zu kommen . Selbst Leute die zum Essen oder Trinken nochmals vor 15.00 Uhr raus kamen, hatten keine Chance wieder in Ihren Block zu gelangen. Angeblicher Grund sei wohl gewesen, das viele Gästefans nicht nach unten durch gingen und somit ein absolutes Einlasschaos – begleitet von sehr unfreundlichem Ordnerpersonal – entstand. Hinzu kam, dass die Ordner gegenüber Matthias Sievering und seinen Hamburger Freunden einwanden, dass angeblich Tränengas von HSV-Fans auf ein paar Ordner gesprüht worden sei. „Ich habe selber gesehen, wie man einer Person die Augen unter Wassereinfluss auszuwaschen versuchte“, berichtete der „Wahl-Kölner Nordexport“ anschließend. Er selbst, der seit 1977 zum Fußball geht, hat so etwas noch nicht in 37 Jahren erlebt, dass er zum Anpfiff nicht auf seinem Platz sein konnte, obwohl er ja satte 45 Minuten vorher da war.

Was also blieb den Jungs anderes übrig, als dann 30 Minuten vor einem Stadionfernseher das Spiel anzuschauen. „Dann kam ein sehr netter Ordner und meinte wir sollen doch mitkommen. Er führte uns links um den 60 ziger Block herum in den unteren Bereich (Rettungsfahrzeuge oder Gasse) und meinte, wir sollten die Ordner unten ansprechen, damit die Tore geöffnet und wir im unteren Gästeblockbereich in die Lücken hineingeführt werden können. Auch wieder Pustekuchen, man hat das uns auch das nicht erlaubt, obwohl genügend Platz vorhanden gewesen wäre“. Seiner Einschätzung nach waren insgesamt vor den Toren hinten und an der Seite ca. 200- 250 Leuten. Das Tor von Lasogga haben sie dementsprechend auch nicht sehen können. Kurz vor Beendigung der 1. Halbzeit gingen sie dann resignierend zurück und warteten bis einige Leute in die Pause wollten, um sich in der prallen Sonne dann Zugang in den Block 61 zu verschafften, für den sie ja eine Karte ihr Eigen nannten. Was ihm dabei am meisten gestunken hat war die Tatsache, dass sie dann noch von den eigenen Fans angemault wurden, was sie denn hier wollten in der totalen Enge und Überfüllung. Die Chance, all die Freunde vom Kuttentreffen im Block zu finden – zumal in diesem Chaos – war sowieso dahin und man konnte sich schließlich erst nach Spielende wieder zusammen finden.

Fazit Sievering: „Das ist doch sicher alles anders organisierbar bei so einem großen Verein wie Borussia Dortmund.  Sollte aus dieser beklemmenden Überfüllung heraus irgendwann einmal ein Unglück in den engen Gästeblocks passieren, werden viele wohl totgetreten oder schwer verletzt. „Du kommst da dann auch nicht mehr raus. So muss ich mir fürs nächste Mal ernsthaft überlegen, entweder gar nicht mehr zu fahren, oder sündhaft teure Sitzplätze nehmen zu müssen“.

Als sich dann anschließend alle wieder zuerst im Stadion Rote Erde Biergarten und anschließend im „Zöllner“ zusammen fanden, war gottlob von alledem nur noch wenig die Rede. Der insgesamt überraschende wie glückliche Sieg der ewigen Hamburger nahm ebenfalls nicht einmal den größten Raum ein beim Betrachten des Tages in der Retrospektive. Vielmehr warf man den Blick voraus und widmete sich bereits jetzt dem kommenden Treffen in der Hansestadt. Dass dabei allerdings das Traditionslokal „Ritze“ als Kulisse dienen wird, ist indes wohl nur ein Gerücht…

Holger W. Sitter  – 08.10.2014

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